Design Thinking in der Praxis – Voraussetzungen, Einsatzmöglichkeiten und Grenzen  

Mit der Digitalisierung steigt der Innovationsdruck in Unternehmen aller Branchen. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern oder weiteres Wachstum zu erreichen, ist es nötig, neue Produkte und Services zu entwickeln. Dabei werden Unternehmen in der Praxis meistens mit folgenden Herausforderungen konfrontiert:

 

  1. Kundenbedürfnisse ändern sich durch den technologischen Fortschritt rasant und müssen ständig neu erspürt werden.
  2. Digitalisierung führt zu niedrigen Markteintrittsbarrieren und steigenden Wettbewerb durch kleine innovative Unternehmen.
  3. Produktentwicklungszyklen müssen flexibler und in kürzeren Zeitintervallen ablaufen um rechtzeitig am Markt auf Veränderungen reagieren zu können.
  4. Ist eine gute Idee gefunden, die den Bedürfnissen der Zielgruppe gerecht wird, so muss hierfür auch ein funktionierender Business Case vorliegen, um die Profitabilität für das Unternehmen sicherzustellen.

Um solchen Herausforderungen zu begegnen, wird vermehrt auf agile Methoden gesetzt. Vor allem Design Thinking hat als Innovationsansatz Einzug in viele Unternehmen gehalten und findet in Entwicklungsprojekten in allen erdenklichen Bereichen Anwendung. Die Projektergebnisse sind jedoch oft ernüchternd und bleiben hinter den Erwartungen. Häufig wird versucht, die Design Thinking Methoden dogmatisch umzusetzen, ohne die organisatorischen und kulturellen Voraussetzungen für Design Thinking zu erfüllen. Damit wir uns in ein paar Jahren bei dem Buzzword Design Thinking nicht nur an viele bunte Post-Its in fancy Meetingräumen erinnern, wollen wir die Voraussetzungen, Einsatzmöglichkeiten und Grenzen von Design Thinking kritisch beleuchten.

Design Thinking in der Praxis:  Organisatorische und Kulturelle Voraussetzung

 

Aktuell wird Design Thinking häufig nur kurzweilig oder zu oberflächlich eingesetzt, in der Hoffnung, durch eine Handvoll Workshops das Unternehmen auf den richtigen Weg in Richtung Innovationskultur zu bringen. Viele Manager reisen für ein paar Tage in die bekannten Design Thinking Schulen, um etwas Silicon Valley Luft zu schnuppern und gründen anschließend ausgelagerte Hubs mit schicken Räumen und Technologien, die als Aushängeschild für das Unternehmen dienen. In den Unternehmenszentralen kommt davon häufig wenig an.

Design Thinking ist kein Allheilmittel, welches innerhalb eines Fünf-Tage-Sprints aus Controllern, Marketing Managern und IT-Experten kreative Produkt- und Service-Designer macht, die in dieser knapp bemessenen Zeit die nächste große Innovation für das Unternehmen entwickeln. Vielmehr ist Design (Thinking) ein Handwerk das gelernt und eine Denkweise, die vom Top-Management vorgelebt und in der Unternehmenskultur verankert werden muss. Beides erfordert ernsthaften Willen, etwas zu verändern, Motivation, Ausdauer und Disziplin von allen Beteiligten.

Design Thinking Projekte können nur dann Erfolge feiern, wenn das Denken im Unternehmen und die Art zu arbeiten nachhaltig verändert werden. Geschieht das nicht, wird Design Thinking über kurz oder lang als kleines erfolgloses Abenteuer enden.

Design Thinking in der Praxis: Teams und Design Thinking Coaches

 

Häufig unterschätzte Faktoren bei Design Thinking in der Praxis sind der sichere Umgang mit den Methoden und Prozessen sowie ein gemeinsames Verständnis des Projektes und das richtige Mindset im Design Thinking Team. Fehlen diese Voraussetzungen, enden Projekte häufig im Chaos und sind wenig zielführend: Der Designer lässt sich nicht gerne in seinen Aufgabenbereich pfuschen, der Marketing-Experte glaubt, dass er die Zielgruppe sowieso am besten versteht, der IT-Experte möchte endlich wieder an den PC und etwas sinnvolles entwickeln während der Controller sich ständig fragt, was dieser „Kindergarten“ das Unternehmen eigentlich kostet. Um solche Situationen zu vermeiden, muss der Design Thinking Coach gewisse Erfahrungen und Skills mitbringen und das Team sorgfältig ausgewählt und geschult werden.

Gute Design Thinking Coaches und Moderatoren zeichnen sich neben einer fundierten Methoden- und Prozesskenntnis durch ein gutes Maß an natürlicher Autorität, Durchsetzungsvermögen und Empathie aus. Letzteres ist vor allem wichtig, um Misstrauen aufzulösen und die Teammitglieder an den richtigen Punkten motivieren und unterstützen zu können. Durchsetzungsvermögen ist essentiell um Hierarchien innerhalb des Teams aufzulösen, das Vertrauen aller Teilnehmer zu gewinnen und zielgerichtet durch den Prozess zu führen. Das Spannungsfeld zwischen „zu locker“ und „zu streng“ muss im gesamten Prozess durch den Coach ausbalanciert werden.

Das Design Thinking Team sollte möglichst heterogen aufgestellt sein, d.h. die Mitglieder sollten beruflich und persönlich unterschiedlich geprägt sein. Im Idealfall besteht das Team aus sechs bis acht Teilnehmern aus verschiedenen Bereichen mit unterschiedlichen Charakteristiken (Querdenker, Experten, Externe, Vermittler, usw.). Auch wenn ein Mix an verschiedenen Persönlichkeiten gewünscht ist, sollten bestimmte Grundeinstellungen und Werte im Team geteilt werden: Jedes Teammitglied sollte in der Lage sein, Empathie für die Zielgruppe aufzubauen und sich in sie hineinversetzen zu können. Jeder Teilnehmer sollte motiviert sein und offen für agile Methoden und Denkweisen. Außerdem sollte sich das Team untereinander mit Achtsamkeit, Wertschätzung und einer konstruktiven Grundhaltung begegnen.

Design Thinking in der Praxis: Prototype, Test, Learn als entscheidende Phasen

 

Häufig scheitern Design Thinking Projekte in der Praxis daran, dass sie nicht zu Ende gebracht werden bzw. nach den ersten Kundeninterviews und der Ideengenerierung die Prototypen nicht ernsthaft umgesetzt und getestet werden. Sobald das Team nach drei oder fünf Tagen Design Thinking Workshops wieder im Daily Business abtaucht, verpuffen die entwickelten Ideen. Das Testen der Prototypen und der angedachte iterative Prozess gerät in Vergessenheit.

Neben der fehlenden Ausdauer, dem Mangel an (zeitlichen) Ressourcen und der fehlenden Bereitschaft der Führungsebene, diese zeitlichen Ressourcen freizuschaufeln, ist oft auch die Umsetzung der Prototypen ein Stolperstein auf dem Weg in Richtung Innovation. Der Sinn und Zweck des Prototypings besteht darin, die entwickelten Ideen einfach und unkompliziert zu visualisieren, sodass der Nutzer den Kern der Idee sowie die kritischen Funktionalitäten versteht und somit Annahmen getestet und validiert werden können. Prototypen aus Pappe, Lego oder Knete sind zwar schön anzuschauen und kreativ, aber meistens eben zu abstrakt und ungenau und daher für die Nutzer nur schwer bewertbar. Möchte man herausfinden, ob sich eine Idee zukünftig wirklich verkaufen lässt, so muss den potentiellen Kunden ein Szenario geboten werden, welches sich real anfühlt und die entwickelten, kritischen Funktionalitäten möglichst genau abbildet.

Darüber hinaus ist in der Phase des Prototypings oft das allgemeine Verständnis von Design ein Problem: Design wird häufig als „aufhübschen“ oder „schön machen“ verstanden. Designer arbeiten aber nicht nach dem Credo etwas hübsch zu machen, ihr Credo sind die Nutzerbedürfnisse und –Wünsche. Kunden finden Dinge und Produkte schön, die gut nutzbar sind und die für sie einen Mehrwert stiften – und genau das ist der Job eines Designers und am Ende auch der Job des Design Thinking Teams. Daher sind Prototypen aus Papier, Knete oder Lego mit Vorsicht zu genießen, denn häufig können diese die gewünschte Usability, Form und Funktionalität nur schwierig abbilden. Es sollte also darauf Wert gelegt werden, ein Produkt- oder Servicemodell zu entwickeln, das die Idee möglichst real abbildet, ohne dabei große zeitliche oder monetäre Ressourcen zu binden. Die Kunst besteht darin etwas zu entwickeln, das nicht zu viele aber auch nicht zu wenig Details zeigt, sodass der Kunde den Kern der Idee verstehen kann.  Dabei kann durchaus ein im Design-Team entwickelter erster Lego-Prototyp als Vorlage genutzt werden, der dann im Nachgang und bis zum nächsten Meeting durch das Team überarbeitet oder neu gestaltet und mit den kritischen Funktionen ausgestattet wird.

Wird der Prototyp dem Kunden vorgestellt, ist es wichtig, dass das Team Kritik zulassen kann und sich nicht zu sehr auf den Prototypen und die dahinterstehende Idee versteift. Denn Ideen in dieser Projektphase zu verwerfen oder auf Basis des Feedbacks zu überarbeiten und gegebenenfalls wieder in einer früheren Phase einzusteigen ist ein essentieller Teil der Design Thinking Idee und aller agilen Methoden. Build (to think), Measure, Learn erfordert jedoch eine hohe Fehlertoleranz und Flexibilität, die Unternehmen und auch Individuen zunächst erlernen und verinnerlichen müssen.

Design Thinking und Wirtschaftlichkeit – Ein kritischer Blick

 

Ein Modell, ist ein vereinfachtes Abbild der Realität und lässt entsprechend auch einige Einflussfaktoren und Kriterien außen vor, die zu einer strukturellen Tendenz im Modell führen können. So auch im Design Thinking: Design Thinking Iiefert Ideen, auf Basis von Kundenbedürfnissen und -wünschen und lässt dabei die Wirtschaftlichkeit und Machbarkeit zunächst außen vor. Dabei sind wirkliche Innovationen nicht nur für den Nutzer neuartig und nutzenstiftend, sondern bringen eben auch dem Unternehmen entsprechenden Profit. Der Designforscher Dr. Sam Ladner formulierte es einmal so: „Es mangelt nicht an kreativen Lösungen für unerfüllte Bedürfnisse, sondern nur an gewinnbringenden Möglichkeiten, diese zu erfüllen.“ Jede entwickelte Idee sollte im Design Thinking Prozess daher früher oder später auch auf Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit hin überprüft werden.

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